Andreas Groschang von laut.fm/12xu

Von Andreas Groschang

DJ bei laut.fm
6. August 2019

Die besten Punk-Sender

  • Irgendwas mit komischen Frisuren und Sex
  • Von Punk zu Hardcore, Alternative Rock und Dream Pop
  • Die Class of 1977 als Anfang von etwas Neuem 

Ach ja, Punkrock. Die ewig missverstandene, kreative Explosion mit der traditionell bis zur Unkenntlichkeit verkürzten Darstellung in den Medien. Schaut man sich heutzutage eine Doku im TV an oder schlägt man in einer Enzyklopädie (nicht Wiki) den Begriff Punkrock nach, erfährt man von einem kurzlebigen Musikphänomen in Großbritannien.

Von Jugendlichen, die unkonventionelle Klamotten und Frisuren trugen, die irgendwie ein total nihilistisches Weltbild vertraten und überhaupt alles scheiße fanden. Angeführt von einer Band die sich irgendwas mit Sex nannte ... zwei Jahre später war der Spuk auch schon wieder vorbei.

Ursprünge bei Velvet Underground, Stooges und MC5

Die wahre Geschichte des Punk ist natürlich nicht so einfach. Es ist schon schwierig zu bestimmen, wann und wo Punk eigentlich anfing. Wie jede Art von Rockmusik hat Punk seine indirekten Wurzeln im Blues und später im Rock'n'Roll-Craze der 50er Jahre. Relativ große Einigkeit herrscht auch darüber, dass die zahllosen obskuren, meist auf kleinen lokalen Labels veröffentlichten Garagenrock-Singles der 60er für die Entstehung prägend waren.

Außerdem sehen viele den für damalige Verhältnisse revolutionären Avantgarde-Rock von The Velvet Underground als wichtigen Einfluss. Lou Reed & Co. wie auch Garagenbands der Sorte Stooges, MC5, The Modern Lovers, Death, Rocket From The Tombs oder New York Dolls bezeichnet man später als Proto-Punk, eine wichtige Vorstufe von Punkrock.

Was darf Punk und was nicht?

Der Begriff taucht bereits 1972 in den Liner Notes zum prägenden Compilation-Album "Nuggets: Original Artyfacts From The First Psychedelic Era" auf. Die Platte enthält - wer hätte es gedacht? - wilden Garagenrock aus den 60ern. Weiter zur Verfestigung des Begriffs trägt das 1976 gegründete Fanzine Punk bei, das sich mit der damaligen New Yorker Szene auseinander setzt. Schaut man sich die frühen Bands wie Television, Ramones, Richard Hell & The Voidoids oder Blondie an, fällt vor allem auf, wie unterschiedlich und eigenwillig sie klingen - noch keine Spur von einer Punkpolizei, die bestimmen will, was Punk darf und was nicht.

    Wegweisende Garage-Rock-Compilation "Nuggets" von 1972.

    © Elektra Records

    Zum großen Knall gerät die einleitend erwähnte britische '77er Welle, doch viel wichtiger finde ich die damals deutlich weniger beachtete Explosion, die darauf folgte. Man könnte sogar sagen, dass Punk erst so richtig losging, als sich der Medienwirbel verflüchtigt hatte, das kommerzielle Potenzial vorerst ausgeschlachtet war und Punk scheinbar auf dem Friedhof der kurzlebigen Modeerscheinungen beerdigt lag - irgendwo zwischen dem Twist, der Lavalampe und Disco Duck.

    Mach alles selbst - schlimmstenfalls mit Hilfe deiner Eltern!

    Eine neue Generation von jungen Musiknerds findet Zuflucht in dem Lärm, den die älteren Geschwister bereits hinter sich gelassen haben. Und was machst du als kleiner Punk, der nicht mehr auf das Interesse von Magazinen, Plattenfirmen oder Konzertveranstaltern bauen kann? Klar, du machst alles selbst! Du gründest nicht nur deine erste Band, sondern du veranstaltest auch deine eigenen Shows - und das in allen normalen oder ungewöhnlichen Räumlichkeiten, die dir gerade zur Verfügung stehen.

    Du nimmst deine eigenen Platten auf. Schlimmstenfalls muss dafür halt das Diktiergerät deiner Eltern herhalten. Mit primitiven Mitteln entstehen oft großartige, wenn auch etwas seltsam klingende Platten. Man brachte die Aufnahmen selbst zum Presswerk, holte die fertigen Platten ab und vertrieb das Ergebnis auf dem eigenen Label. DIY (Do It Yourself) hieß der aus der Not heraus adaptierte neue Betriebsmodus der Szene.

    Die Szene in Washington D.C.

    Hardcore-Punk verfolgte eine sowohl politisch als auch akustisch radikalere Vision von Punk, die den klassischen Rock'n'Roll weitgehend hinter sich ließ. Abstrakt, repetitiv und energisch. Andere Bands wandten sich dem zu, was man heute Post-Punk nennt. Sie sogen Punk-fremde Einflüsse in sich auf und flirteten mit experimenteller Musik. Eine ähnliche Entwicklung machten Teile der Hardcore-Szene durch. Auch hier öffneten sich viele Bands fremden Einflüssen und übertrugen darauf die Energie des Hardcore. Es kristallisierte sich ein neues Genrespektrum heraus, das man heute als Postcore oder Post-Hardcore bezeichnet. Besonders wichtig für diese Entwicklung war die Szene in Washington D.C. rund um das einflussreiche Label Dischord Records.

    Ebenfalls in Washington zeigten sich Teile der Szene frustriert von dem zunehmend hypermaskulinen Gebahren des Publikums auf Konzerten und der Tatsache, dass die von Anfang an wilden aber friedlichen Punkshows neuerdings in echte Gewalt und Rücksichtslosigkeit umschlugen. Ihre Reaktion darauf war eine deutliche Veränderung in der musikalischen und lyrischen Ausrichtung. Hardcore wurde introspektiv und verletzlich - Emocore war geboren. Andere Bands wie Hüsker Dü - oft als die Beatles des Punk bezeichnet - tasteten das melodische Potenzial von Punkrock aus und legten damit einen wichtigen Grundstein für weite Teile des Indie- und Alternative Rock, wie er spätestens in den frühen 90ern allgegenwärtig wurde.

    No Wave, Noise Rock, Dream Pop, Shoegaze

    Die Bands der New Yorker No Wave-Szene erforschten, wie weit man im Verzicht auf konventionelle Harmonien und im Exzess des dissonanten Lärms gehen kann. Resultat: Ganz schön weit. Gemeinsam mit einzelnen anderen Bands wie den ursprünglich der Hardcore-Szene entstammenden Flipper und Big Black, sowie den sound- und herkunftsmäßig wieder etwas näher am No Wave gelagerten Sonic Youth, legte man das Fundament für Noise Rock.

    Noise und Melodie ging natürlich auch zusammen. Die Briten The Jesus And Mary Chain verarbeiteten unter anderem einen starken Velvet Underground-Einfluss, fluffige 60er Bubblegum-Popmelodien und ließen diese mit einer dichten Wand aus Distortion und Feedback kollidieren. Dabei wurden sie ein wichtiger Einfluss für gleich zwei Genres: Noise Pop und Dream Pop. Beide Genres wurden nur wenige Jahre später von ebenfalls britischen Bands der soganannten "Scene that celebrates itself" mit psychedelischen Elementen und einem Faible für die Mittel der Klangmanipulation gekreuzt. Das resultierende Genre nennt sich Shoegaze.

    Punk als ewig kreatives Tentakelmonster

    Das alles kratzt nur an der Oberfläche und ist ein winziger Ausschnitt der unübersichtlichen Fülle von Entwicklungen, die die ursprüngliche Punkexplosion entfachte. Punk ist eben mehr als ein klar definierbares Musikgenre. Je nach Betrachtungswinkel ist es eine Idee, ein Ethos, ein Haufen Alkohol- und Drogenabhängiger (ca. 1977), ein Haufen Alkohol- und Drogenverweigerer (ca. 1982), ein Haufen moderater Alkohol- und Drogengenießer (ca. 2019), eine politische Bewegung, eine unpolitische Bewegung, eine künstlerische Bewegung, ein musikalisches Kontinuum, das man nur unter Betrachtung seiner historischen Entwicklung verstehen kann. Oder, wie ich es mir gerne vorstelle: Ein stetig wachsendes Tentakelmonster, das im Sekundentakt neue Verästelungen entwickelt.

    Um dies zu feiern, möchte ich hier ein Spotlight auf einige laut.fm-Sender werfen, die eben dieser reichhaltigen Geschichte, der unüberschaubaren Fülle an Genres, Subgenres und Sub-Subgenres sowie den immer noch saumäßig vitalen Untergrundszenen von heute Tribut zollen. Stationen, die vornehmlich Bands spielen, deren Logos es noch nicht auf T-Shirts gedruckt bei Lidl zu kaufen gibt.

      DIY als Arbeitsethos.

      Helden des Dischord-Labels: Minor Threat.
      © Dischord Records

      Auswahl:

      Rule Of Three (laut.fm/ruleofthree

      Oh, schön dunkel hier, da bleib ich gern noch etwas sitzen. Die Station Rule Of Three gehört zum Imperium einer zum vollwertigen Webzine umfunktionierten Facebook-Seite. Inhaltlich beschäftigt man sich mit aktueller Musik auf der Achse zwischen klassischem oder modernem Post Punk, dunkler oder kalter Welle und auch sonst jeder Menge Goth-getränktem Tod und Verderben der tendenziell oldschooligen, nicht allzu glatten Machart. Ein historisch stark mit der Punkszene verwobenes Spektrum.

        Waste Water Music (laut.fm/wastewatermusic

        Ein echtes Urgestein auf laut.fm. Der Fokus liegt klar bei bekannten und vergessenen Klassikern, aber ebenso auf gegenwärtigem Garage-Punk und überhaupt allem, was ordentlich Fuzz und Knarz mitbringt - in einem schön sauber nach Subgenres unterteilten Sendeplan. Hier hörst du definitiv mehr als nur die üblichen Verdächtigen.

          Louie Louie (laut.fm/louielouie)

          Bitte aufstehen wer in einer Punkband spielt oder gespielt hat, oder wer jemanden kennt, der in einer Punkband spielt oder gespielt hat, und wer sich dabei noch nicht in einem spontanen "Louie Louie"-Jam wiedergefunden hat. Wie, es sitzen noch alle?

            Oh Subs Tapes (laut.fm/oh-subs-tapes)

            Auch Oh Subs Tapes spielt viele Klassiker. Besonders fällt hier aber eine geschmackvolle Auswahl an deutschsprachigem Lärm auf und ganze Sendungen beschäftigen sich mit lokalen Krach-Phänomenen vergangener Zeiten.

            Punk And Disorderly The 80s (laut.fm/punkanddisorderly-the80s)

            Das hier ist schlicht und ergreifend die beste Klassiker-Station im lauten Gehege. Zu hören gibts ausschließlich alten Lärm, der tatsächlich überwiegend der titelgebenden Dekade entspringt. Halbwegs bekannte und liebgewonnene Acts wechseln sich mit totalem Underground ab. Wer etwas tiefer in der Geschichte wühlen möchte, kann sich hier eine angemessene Grundbildung abholen.

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            12XU (laut.fm/12xu)

            Und zu guter Letzt möchte ich mit bestem Gewissen noch meine eigene Station erwähnen. Sie ist der verlängerte Arm des gleichnamigen Musikblogs, mit dem ich versuche, den schrägen und wundervollen Blüten des aktuellen Punk-, Garage- und Noise-Untergrunds im deutschsprachigen Web eine Plattform zu bieten. Denn wer kümmert sich drum, wenn man's nicht selbst in die Hand nimmt? 

            Im Radio laufen viele vergessene oder übersehene, aber auch einige geläufige Klassiker. Der Hauptfokus liegt aber wie schon beim Blog auf aktuellem Lärm im Dunstkreis von DIY-mäßigem Art- und Post Punk, Postcore, Noise Rock, Fuzz- und Garage Punk, (Neo-)NoWave, oldschooligem Indie Rock, Noise Pop, Hard- und Weirdcore sowie vereinzelt auch mal ein bisschen Shoegaze. 

            Kontakt

            laut.ag
            Seilerstr. 7
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            Amtsgericht Freiburg i.B. HRB 381837
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