Von Kay Schier
Von Kay Schier
Freier Autor bei laut.de
13. November 2018
Ein wenig schöne neue Welt in die Wohnzimmer bringen, das ist der Anspruch, den Amazon und Google in ihren Werbespots zu ihren Smart-Home-Systemen Alexa beziehungsweise Google Home erheben. Die Telefone sind es schon, die Eigenheime sollen es werden, smart, praktisch, so entworfen, dass sie auch von der technophoben Oma oder einem Dreijährigen auf LSD bedient werden können. Was in diesen Spots nie fehlen darf: „Alexa, spiel doch mal was Fröhliches.“ Musik ködert auch hier wieder erfolgreich.
Technischer Fortschritt im Bereich der Musik, soweit es den Endkonsumenten betrifft, bedeutete immer, ihm Weg, Gedankengang, Mühsal zu ersparen. Der „Smart Speaker Report“ von NPR und Edison Research nennt ganz generell „to make it easier to do things“ bei 69 % der Kaufinteressenten als treibende Motivation. Alle 20-25 Minuten aufstehen, die Nadel herunter nehmen, die Platte wenden, die Nadel wieder darauf tun: Das muss nicht sein. Die CD hat das Problem noch einmal weitere 20-25 Minuten nach hinten verschoben, wenn auch nicht gelöst.
Im Jahr 2001 brachte Apple, wenige Jahre vorher noch totgesagt, den ersten iPod auf den Markt. Der tragbare Musikplayer mit in fortgeschritteneren Modellen gefühlt unbegrenzter Kapazität, Musik mit sich zu führen und einzusetzen, wann immer die Situation es erfordert, machte aus Apple das wertvollste Technologieunternehmen der Welt. „Der Soundtrack deines Lebens“ ist seitdem keine Metapher mehr.
Musik-to-go, hat die Art und Weise, wie wir Musik wahrnehmen, verändert, und diese Veränderung wird durch Smart Speaker wie Amazons Echo nochmals vertieft: Musik als Teil einer Situation beziehungsweise, um im Ton eines Apple-Werbespots zu bleiben, als Teil eines Lebensmoments. Diese Mentalität kehrt mit dem Smart Speaker nun zurück ins Wohnzimmer mit seinen unüberwindbaren Distanzen zwischen Arsch und Anlage. Der Weg, den der Smart Speaker als nächster Schritt in der technischen Evolution des Musikkonsums beseitigt, in den Worten von Ryan Redington, Director of Amazon Music in einem Gespräch mit Pitchfork:
„Früher kam ich nach Hause, zog mein Handy aus der Tasche, entsperrte es, öffnete AmazonMusic, wählte eine Playlist, die ich hören will, verband es via Bluetooth mit einer Anlage und hörte dann Musik.“, beschreibt er die Vergangenheit. „Jetzt komme ich einfach zu Hause an, sage 'Alexa, spiel ...' was auch immer ich hören will, und es funktioniert einfach.“
Der Smart-Lautsprecher Amazon Echo Plus
Foto: Amazon
Das Versprechen vom Mehr an Komfort zahlt sich für den größten Einzelhändler der Welt jetzt schon aus. Er ist Pionier auf einem äußerst vielversprechenden Markt: Der Studie von NPR/Edison Research zu Folge besitzen 16 % aller Amerikaner, anders gesagt 39 Millionen Personen, bereits einen oder mehrere Smart Speaker, rund zwei Drittel davon sind Amazon Echos. Der Lautsprecher stellt die Schnittstelle zum Smart-Home-System des jeweiligen Anbieters dar. In absteigender Reihenfolge sind davon Amazon Alexa, Google Home und Apple Homekit die erfolgreichsten, wobei Amazon mit rund 50 % Marktanteil klar dominiert. Bedenkt man, dass die Firma zudem über ein weltweites eigenes Vertriebsnetz und schier unerschöpfliche finanzielle Reserven verfügt, wird sich das wohl so schnell nicht ändern.
Dem Verkauf förderlich ist sicherlich die traditionelle Unbekümmertheit der amerikanischen Verbraucher in Sachen Datenschutz. Amazon speichert sämtliche von Alexa empfangenen Sprachbefehle auf unbestimmte Zeit in seiner eigenen Cloud ab mit dem hauptsächlichen Ziel, Daten zu sammeln, die das System analysieren kann, um etwa häufig gestellte Fragen besser und schneller zu beantworten. Da Alexa auf Zuruf aktiv wird, muss es de facto die ganze Zeit über mit eingeschaltetem Mikrophon mithören. Was somit noch an unter Umständen privatesten Gesprächen in der Amazon-Cloud gespeichert ist, weiß bislang niemand so genau.
Der durchschlagende Erfolg ist in jedem Fall beachtlich für ein Produkt, dass bislang sicherlich noch in den Kinderschuhen steckt, beschränkt es sich doch bislang darauf, eben einfache Handgriffe daheim überflüssig zu machen. Licht an, Licht aus, Alexa, wie wird das Wetter heute, Alexa, wann fährt die nächste Bahn, oder, laut der NPR-Studie die beliebteste Anwendung, Alexa, spiel Musik.
In diesen scheinbar banalen Anwendungen ersetzen Smart Speaker schon jetzt in großem Stil Geräte und Programme, auf die Anwender zuvor zurückgriffen: Ein Viertel bis knapp 35 % der Befragten gab in der selben Studie an, dass bei ihnen Smart Speaker den Computer beziehungsweise das Smartphone in entsprechenden Anwendungen (das Wetter und Fahrpläne checken, Musik auswählen) ersetzten. Das hat auf die Wettervorhersagen erst einmal keine größeren Auswirkungen, auf die Art und Weise, wie wir Musik konsumieren, allerdings schon.
15 Jahre portable Musik und rund zehn Jahre Streaming haben das Album als maßgebliche Form zurückgedrängt. Erst erzog iTunes, dann Spotify und die ihm folgende Konkurrenz wie Amazon Music, den User zur Playlist. An die Stelle einer vom Künstler vorgegebenen starren Abfolge von Songs trat die Idee der richtigen Musik zur richtigen Zeit beziehungsweise zum passenden Anlass. Playlist an.
Noch-Marktführer im Bereich Streaming Spotify hat das erkannt und genutzt, indem es dieses Konsumverhalten befördert : Mittlerweile sind bekannte, offiziell kuratierte Playlists eine große Chance für Künstler und die Plätze darauf heiß begehrt. Neben Listen, die nach Genre sortieren, werden solche für spezielle Anlässe und Stimmungen immer wichtiger: Fitness, kalte Regentage, warme Regentage, Frühling macht‘s mit blauem Band, Sommer, Herbst, Herbstgefühle (saisonübergreifend), Herbst Chill Out, Winter, Party (Apres-Ski/Kein Apres-Ski) etc.
Schöne neue Welt mit Voice Control
Immer die Musik, die zur Stimmung passt.
Bild: Amazon
Diese Entwicklung führt dazu, dass Musik in Zukunft anders kategorisiert werden muss als bislang. Die noch aus analogen Plattenladenzeiten stammende Ordnung nach Alphabet oder Genres verliert an Bedeutung. Das Zauberwort heißt Metadaten, da die traditionellen (Rock, Pop, Rap etc.) nicht mehr ausreichen, um die Bedürfnisse der Anwender zu erfüllen. Eingedenk des obigen Zitats von Herrn Redington bestehen diese bei Smart Speaker-Käufern darin, so reibungsfrei wie möglich die gewünschte Musik zu konsumieren. Reibung würde bedeuten, den Kunden weiterhin dazu zu zwingen, den gewünschten Song samt Interpreten dem Smart Speaker mitzuteilen, beziehungsweise impliziert das Marketing der Anbieter, eben das nicht tun zu müssen.
Auch wenn in dieser Hinsicht noch keine konkreten Zahlen vorliegen, ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit der Kunden dieses suggerierte Angebot, sich keiner weiteren Reibung durch Gedankenmachen aussetzen zu müssen, dankend annimmt. Damit also die mit dem Smart Speaker verbundene „KI“ den Befehl „Spiel etwas Fröhliches/ Melancholisches“ richtig verarbeiten kann, muss Musik mit entsprechenden Metadaten an (im Fall von Alexa) Amazon Music ausgeliefert werden.
Das hat zunächst Vorteile: Schon jetzt bietet Spotify Playlists wie „Dein Mix der Woche“ an, basierend auf einem komplexen Algorithmus, der erstaunlich präzise musikalische Interessen extrapoliert, indem er eine große Menge an Daten abgleicht. Bei diesem Analyseverfahren, hier aus Platzgründen und mangelhaften Fähigkeiten meinerseits in Sachen höherer Mathematik grob vereinfacht dargestellt, berücksichtigt Spotify Texte im Internet über bestimmte Musik genauso wie die Texte der Musik selbst, das Verhältnis von Schnittmengen zwischen Usern zu ihren Unterschieden im Hörverhalten (ist Erstere groß genug, werden dem jeweils anderen die Letzteren empfohlen) sowie rein musikalische Faktoren wie Tempo, Harmonie, Rhythmus etc.
„Alexa, spiel Musik, die Appetit macht”
Ersetzen Smart-Speaker bald auch das klassische Küchenradio?
Bild: Amazon
Es fällt auf, dass Metadaten eine ziemlich metaphysische Angelegenheit darstellen: Es ist durchaus vorstellbar, über alle kulturellen Grenzen hinweg eine Schnittmenge dessen zu ermitteln, was als „fröhlich“ gilt. Jeder Mensch mag „Uptown Funk“. Allerdings mag durchaus nicht jeder Mensch „Despacito“, obwohl man sich darauf einigen kann, das es sich dabei um ein fröhliches Lied handelt, und Musikkonsumenten, denen bei amelodischem Black Metal die Sonne aus dem Herzen scheint, werden schon einmal gar nicht berücksichtigt.
Haben die Black Metal-Hörer halt Pech gehabt, mag man meinen. Die können dem Smart Speaker ja immer noch einfach das Genre nennen. Sicherlich wird der Black Metal den Smart Speaker überleben. Unausweichlich wird durch ihn aber ein buchstäblich gefühlter Mainstream zementiert, ein genereller Maßstab der Empfindung etabliert, den andere Technologien zum Funktionieren nicht benötigen. Gravierender noch als diese Tatsache ist die Frage, wer den Zement eigentlich anrührt. Die Antwort: Natürlich die Hersteller der Smart Speaker, Amazon, Google, Apple und weitere.
Deren Mitarbeiter werden sich dann auch mit Fragen auseinanderzusetzen haben, wie die, was genau „Melancholie“ ist. Oder „Nostalgie“. Deren Antwort wahrscheinlich: Beatles, Stones, Zeppelin. Vielleicht aber auch Heino. Welcher mehr als unangemessen wäre für einen 65-jährigen taiwanesischen Alexa-Käufer. Entweder diese Firmen wuchern noch mehr in den Bereich der Kultur hinein (was sie teilweise schon tun, siehe Google Books), oder sie treiben die Globalisierung in ihrem Franchisingaspekt, in der Gleichmachung der Innenstädte weltweit, brutal voran, indem sie das eben festlegen. Und über die Marktmacht, das zu tun, werden sie, bedenkt man die obigen Zahlen, früher oder später verfügen.
Natürlich kann man argumentieren, dass für das Abseitige, das Experimentelle eine Chance darin liegt, von einem undurchschaubaren Algorithmus aus den Untiefen der Datenbank ans Ohr des Hörers befördert zu werden. Wenn unser Musikkonsum weniger zielgerichtet wird, weil wir uns in der Auswahl nur noch von diffusen Stimmungen leiten lassen, kann er gleichzeitig freier, vielfältiger, unvorhersehbarer werden. Oder eben nicht. Algorithmen können unbekanntere Acts fördern, oder die etablierten Streamingmodelle schlicht noch reicher machen. Man weiß es schlicht nicht so genau, denn diese Algorithmen sind in der Regel streng gehütetes Geschäftsgeheimnis. Ein Geschäft aber, das uns alle, die wir gern Musik hören, direkt betrifft.
Hierin liegt der problematische Kernaspekt des Smart Speaker-Phänomens: Die Technologie an sich mag man überflüssig bis störend oder aber komfortabel finden. Wer sie aber kontrolliert, und damit, wie oben ausgeführt, die weltweit bevorzugt gehörte Musik entscheidend mitbestimmt, kann einem durchaus Kopfschmerzen bereiten. Auf lange Sicht ist es mehr als zweifelhaft, ob sich Firmen wie Tidal, Deezer oder sogar Spotify gegen die wertvollsten Unternehmen der Welt wie Amazon, Apple oder Google durchsetzen können. Ihnen fehlen die finanziellen Ressourcen und die eigene Hardware, die die hauseigene Musikapplikation maßgeblich verbreiten hilft.
Natürlich ist jedes Label erst einmal bestrebt, die eigenen Künstler so gut es geht im Markt zu positionieren. Deswegen werden sie die Metadaten liefern, die großen Speaker-Hersteller müssen sie noch nicht einmal explizit anfordern, es ist schlicht ökonomisch geboten. Gerade Indie-Labels, die davon leben beziehungsweise damit anwerben, ihren Künstlern Freiheit vom Diktum des Vermarktbaren zu verschaffen, kommen nicht darum herum, ihre Künstler in Schubladen, in „Moods“ einzusortieren. Die Logik des Internet-Kapitalismus, die Daten von Nutzern zu verwerten, welche diese ihnen im Austausch gegen Bequemlichkeiten in der Kommunikation freiwillig veräußern, dehnt sich auf den Kulturbereich aus. Wieder geht es um Marktmacht: Amazon, Google, Apple befinden sich in einer Position, in der kein Weg an ihnen vorbeiführt.
Schlussendlich lässt sich sagen, dass der Smart Speaker, wie jede Technologie, erst einmal unschuldig ist. Wer die Technologie kontrolliert, ist die große Frage, und lässt sich, wie oben ausgeführt, leicht beantworten. Das Spiel der Big Player, egal, wie sie das in ihren hippen Werbespots kaschieren, ist die Kontrolle. Über unsere Daten, unsere Privatsphäre, unseren Musikkonsum. Smart Speaker sind so nur ein Nebenschauplatz in einem Prozess, in dem das radikaldemokratische Medium Internet, und damit alles in ihm, so auch die Musik, immer weiter oligarchisiert wird.
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