Music Brokers
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Von Kilian Steinhart
9. Juni 2017
„No future for you / No future for me“: Johnny Rotten bringt die Fuck You-Haltung des Punk im Sex Pistols-Song "God Save The Queen" im Frühjahr 1977 auf den Punkt. Die beidseits des Atlantiks aufblühende Punk-Bewegung explodiert, ein popkulturelles Wendejahr. Der Terminus Postpunk deutet schon darauf hin, dass dieses Genre den Punk auf seinem Höhepunkt beerbt: Im Jahr 1978 verdichtet sich der kreative Output zahlreicher Bands, die die Sehnsucht des Punk nach Neuem in sich aufgesaugt haben, mit bloßer Anti-Haltung oder wütendem Akkordgeschrammel aber nichts mehr zu tun haben wollen. Nur die Negation des 70er Jahre-Cockrock ist ihnen ebenso wichtig.
Der klassenkämpferische Ton lebt streckenweise auch im Postpunk weiter, ist dort aber in anspruchsvollere Klänge gekleidet. Entscheidende Merkmale sind komplexere Songstrukturen, und neben dem klassischen Rock-Instrumentarium Schlagzeug, Gitarre und Bass bedient sich Postpunk auch bei Elementen der elektronischen Musik. Neue Musik mit neuen Mitteln - hierzu gehören für viele Bands nun die erschwinglich gewordenen Synthesizer. Coolness durch Künstlichkeit oder durch Verbreitung politischer Theorien: Devos schräger Electro-Punk zählt daher ebenso dazu wie die tanzbare Systemkritik der Gang Of Four.
So unterschiedlich die Spielarten der einzelnen Postpunk-Vertreter auch ausfallen, gemein ist dem Sound eine gewisse Nervosität und Kantigkeit, manchmal gerne auch überladen, düster, kalt oder verschroben. Musikalische Antworten auf das damalige postindustrielle Zeitalter, ob im Rostgürtel Amerikas (Pere Ubu aus Cleveland), nordenglischen Städten wie Sheffield oder Manchester (Cabaret Voltaire, Joy Division) oder Düsseldorf (Fehlfarben). Zurück zum Beton, harte Musik für harte Zeiten. Wie in anderen Genres verschwimmen auch im Postpunk rasch die Grenzen: Wave, New Wave, No Wave, Indie Rock - die Blütezeit des Postpunk endet somit ungefähr 1982/83.
Ein Revival, auch zweite Welle genannt, erfährt der Sound Anfang der Nullerjahre, von 2002 bis 2005. Hierzulande feiert der düstere Sound eine dritte Renaissance, um die 2010er Jahre. Ted Gaier von den Goldenen Zitronen weist allerdings 2007 auf einen gewichtigen Unterschied zu den Originalen hin: „Was mich stört an den ganzen Bands, die jetzt so klingen wie Gang Of Four: dass man völlig vergisst, warum diese Musik so klang wie sie klang. Der Sound wird ganz gut nachempfunden, nur dass das Kid-Marxisten waren, die überlegt haben, wie man die Widersprüchlichkeit des Bestehenden in eine Form gießt.“
Das legendäre Album von Joy Division
© Warner
Welche Bands zählen zu Post-Punk?
Mit nur zwei Studioalben („Unknown Pleasures“, 1979, „Closer“, 1980) prägen Joy Division den dunklen Sound des Genres nachhaltig. Mit dem zweiten Werk prägen sie gleichzeitig das Subgenre Gothic. Auch The Cure haben daran einen großen Anteil. Die erwähnten Gang Of Four zählen wie die Mekons zur Szene aus Leeds, Manchester hat neben Joy Division auch die Buzzcocks oder The Fall zu bieten, die bis heute existieren. Die Talking Heads und Wire stehen exemplarisch für Vertreter des Genres, die sich aus Kunst- und Grafikstudenten rekrutierten. In Deutschland spielt Düsseldorf eine wesentliche Rolle: Im Fokus stehen Bands, die sich rund um das Szenelokal Ratinger Hof gründen. Fehlfarben und DAF formulieren auf ihren Alben „Monarchie Und Alltag“ (1980) und „Alles Ist Gut“ (1981) einen ewiggültigen Masterplan: Harte und ungekünstelte Musik mit deutschen Texten zu versehen.
Zur zweiten Postpunk-Welle Anfang der 2000er zählen aus den USA Interpol, LCD Soundsystem und The Rapture. In Großbritannien poppen zu dieser Zeit Franz Ferdinand, Bloc Party oder Maximo Park auf. Im Ton verdammt schroff und dem kalten digitalen Zeitalter entsprungen, purzeln in den 2010er Jahren Die Nerven, Messer, Friends Of Gas oder Drangsal in die Öffentlichkeit. Ihr Sound ist bohrend, enervierend und in der Tradition des Punk irgendwie unbequem. Sie erzählen immer neue Geschichten des (Post-) Punk und widerlegen damit auch Johnny Rotten, denn: Alles hat eine Zukunft, sogar der nimmermüde Punk.
Gang Of Four - Entertainment!
"Die ganzen Bands, die jetzt so klingen wie Gang Of Four ..."
© Warner
Wo kann ich Postpunk auf laut.fm hören?
Im großen laut.fm-Universum versammeln sich etliche Sender, die sich den dunkleren Klängen oder dem tanzbaren Postpunk-Auswuchs Indie-Rock verschreiben. Kein Sender belässt es bei der zeitlichen Genre-Eingrenzung von 1978 bis 1982. Was nicht weiter schlimm ist: Eine Musikrichtung, in der Johnny Rottens minimalistisches Dub-Kollektiv Public Image Ltd. (kurz: PIL) im gleichen Atemzug genannt wird wie die Gothic-Vorläufer Siouxsie And The Banshees, verspricht spannende Abwechslung und garantiert musikalische Neuentdeckungen – enjoy!
Fallout (laut.fm/fallout)
Aus Österreich wabern dunkle Töne: Mit Songs von Joy Division, The Cure, Killing Joke, Bauhaus, Siouxsie And The Banshees oder – ganz seinem Namen verpflichtet – The Fall zementiert der Sender beindruckend den Status als zentrales Postpunk-Radio. In drei jeweils einstündigen Sendungen pro Tag widmen sich die Fallout-Macher der reinen Postpunk-Lehre.
Das übrige, stets artverwandte Programm ist liebevoll kuratiert – mit Tendenz zur Tageslicht-Ablehnung. Hierfür stehen klangvolle Namen wie Anne Clark, Death In June, Blutengel oder Miserylab. Spätabends EBM und Dark Wave oder Synthie-Pop zum Aufstehen? Welcome im Fallout-Universum!
Klangruinen (laut.fm/klangruinen)
Das Klangruinen-Radio verspricht ebenfalls Hörgenuss-Vielfalt von Punk über EBM bis Darkwave. Soweit der vielversprechende Slogan. Fein säuberlich gliedert sich denn auch das Programm: Postpunk, New Wave, EBM und Synthiepop ist hier ebenso am Start, allerdings mit einer deutlichen Schlagseite zu ungemütlichen Sounds, was der Sendername ebenfalls widerspiegelt.
Bei Industrial und Splatterelectro krachts im Gebälk. Der Sender deckt den Bereich der harten Töne komplett ab und hat auch einige unbekanntere Genre-Perlen im Gepäck, etwa von The Invincible Spirit, KFC, Foyer Des Arts, Clock DVA oder der „Rammstein-Vorgängerband“ Feeling B.
Indieandmore (laut.fm/indieandmore)
Immer diese Ösis: Auch Indieandmore zeigt sich geschmackssicher und musikalisch distinguiert.
Der Sender trägt die Erweiterung des Postpunk-Begriffs schon im Namen: Zu den erwähnten Szene-Größen und Neo-Postpunks (z.B. Viet Cong) gesellen sich Künster und Künstlerinnen des Indie-Pop/Rock verschiedenster Ausprägungen: Von Beatsteaks über The xx, Chromatics, Chikinki, Eels, Vampire Weekend oder Get Well Soon bis hin zu Warpaint.
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