Bild: Polystar
Bild: Polystar
Von Dani Fromm
Schlager-Expertin beim Musikmagazin laut.de
24. Mai 2017
Kaum eine Musikrichtung verkauft sich hierzulande schwungvoller als Schlager. Zugleich lassen sich mit dem Bekenntnis zu kaum einer Musikrichtung drastischere Reaktionen provozieren. Versucht das mal: Stellt euch hin und posaunt, gerne mit Guildo Horns Joan Jett-Cover im Ohr, in die Runde: "Ich find' Schlager toll!" Da könnt ihr aber zugucken, wie den Leuten die Mimik auseinanderbröselt. Besonders, wenn sie euch als den (möglicherweise einzigen) Hip Hop-Head in ihrem Bekanntenkreis kennen.
So furchtbar schlecht scheinen sich Rap und Schlager dann aber auch wieder nicht unter einen Hut bringen zu lassen. Zumindest laufen allein schon im laut.de-Kosmos mindestens zwei Autoren herum, die eine glühende Liebe für beides hegen, und ich bin sicher: Es gibt noch mehr von uns. Wieso auch nicht? Der Wu-Tang Clan und Udo Jürgens passen ja wohl prächtig zusammen, und wie gut ein Spinner wie Favorite auf und mit Cindy & Bert klar kommt (und umgekehrt!), hat vor Jahren schon das wunderbare VOX-Format "Cover My Song" gezeigt, das Rapper und Schlagerstars aufeinandertreffen ließ. Überall da, wo sich die Mitwirkenden unverkrampft, ohne Vorurteile und mit offenen Armen begegneten, funktionierte die Angelegenheit prächtig. Äußerst schade, dass der Spaß schon nach einer Staffel endete und den Sendeplatz für "Sing Meinen Song" räumen musste, eine so witz- wie zahnlose Veranstaltung, in deren Rahmen sich prominente Musikschaffende gegenseitig artig Honig um die Mäuler schmieren. Na, danke.
Tatsächlich glaube ich, dass Schlager (ganz genau wie Hip Hop) auf so viele Menschen deswegen wie ein rotes Tuch wirkt, weil das, das man bei flüchtiger Betrachtung des Genres zu sehen bekommt, halt leider die oberflächlichste, dümmste, ideenloseste, kommerziellste Facette eines - eigentlich - glitzernden Juwels ist. Andrea Berg, die auf Eins-zwo-drei-vier-Bummsbeat mit ins Gesicht getackertem Formationstänzergrinsen in die Runde frohlockt: "Du hast mich tausend Mal belogen." Yeah! Helene Fischer, die, ebenfalls eins-zwo-drei-vier, zum zwölftausendsten Mal atemlos durch die Nacht asthmatisiert - oder wars eine ihrer unzähligen Kopien, die insbesondere "Deutschland sucht den Superstar" unter Dieter Bohlens Schreckensherrschaft in den letzten Jahren halbdutzendweise billiger ausgespuckt hat? Yo, wer DAS für repräsentativ für den deutschen Schlager hält, der gibt auch Bushido einen Bambi.
Piep piep piep - ich hab dich lieb!
Guildo Horn vertrat Deutschland 1998 beim Grand Prix
© Electrola
So, wie im Rap alle (!) auf Straßengangsta und dicke Hose machen, suhlt sich die komplette (!) Schlagerwelt in Phantastereien von der heilen Welt, sagt das Vorurteil, und siehe: Es ist völliger Mumpitz. Die ausuferndsten Geschichten bekommt man, abgesehen vom Hip Hop, im Schlager erzählt. Man muss halt an der richtigen Stelle hinhören. Auch musikalisch gibt das Genre eine Menge her. Mit Wurzeln in der leichtverdaulichen Operette und der traditionsverhafteten Volksmusik verleibte sich der Schlager hemmungslos auch Elemente aus Jazz und Swing ein und verzeichnete in den wilden Zwanzigern seine erste Blütezeit. Die allerdings fand mit dem Aufkommen der Nationalsozialisten ein jähes Ende, statt derlei "Negermusik" präferierten die braunen Kreise "klassisches deutsches Liedgut" oder gleich Musik, zu der es sich im Stechschritt in einen Krieg und den eigenen Untergang marschieren ließ.
Aus den Trümmern erhob sich der Schlager, schüttelte den Missbrauch als Propagandainstrument ab, und öffnete sich erneut internationalen Einflüssen: Swing, Samba, Boogie-Woogie und Rock'n'Roll kehren mit Schmackes zurück auf die Tanzflächen. Auffallend viele ausländische Künstler - Bruce Low, Gitte, Nana Mouskouri, Gus Backus, Peggy March, Wencke Myhre, Connie Francis, Siw Malmkvist, Bill Ramsey und wie sie alle heißen - versuchen sich am harschen deutschen Zungenschlag und impfen ihm nicht unerhebliche Exotik ein. Gut so, denn das Fernweh hält Nachkriegsdeutschland mindestens so fest im Griff wie die ewige Sehnsucht nach der großen Liebe, derentwegen - wie eigentlich in jedem anderen Genre auch - die Schnulze wohl niemals aus der Mode kommen wird.
Der Schlager hat sogar - ich sag' nur Kaiser Franz oder Petar Radenkovic - singende Fußballspieler überlebt. Er hat das Discofieber überlebt. Er hat die Neue Deutsche Welle überlebt. Er hat seine eigenes ironisch gebrochenes Revival überlebt. Er wird, ich bin da sehr zuversichtlich, auch die Flut steriler Fließband-Produktionen und die Helene-Fischer-Klonkriegerinnen-Invasion überleben, die derzeit das verzerrte Bild, das sich mancher vom Schlager macht, dominieren.
... und jetzt sprecht mir nach: "Ich! Find'! Schlager! Toll!" Zu Belohnung hab' ich euch auch ausschließlich Stationen ausgesucht, die weder Helene Fischer noch Andrea Berg noch die Schauderhafteste von allen, Michelle, in den Top-Ten ihrer meistgespielten Künstler führen.
Am einfachsten haben es sich die DJs dieser Station bei der Namensgebung gemacht. Oder sie waren schlicht am schnellsten: Ihr Sender heißt unmissverständlich laut.fm/schlager. Womit auch gleich jedes mögliche Missverständnis über die musikalische Ausrichtung aus dem Weg geräumt wäre. "Auf diesem wundervollen Schlager-Webradio segeln Sie zusammen mit Wolfgang 'Wolle' Petry und Trude Herr im knallroten Gummiboot über die deutsche Schlagerwelle", verspricht der sendereigene Werbetext.
Wer würde da nicht einsteigen und mitfahren wollen, mindestens bis bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt? Ein Gläschen griechischer Wein dazu. Oder zwei, dann braucht Gunter Gabriel auch kaum noch Überredungskünste, wenn er lockt: "Komm unter meine Decke". Chris Roberts, Peter Alexander und Udo Jürgens kuscheln mit Marianne Rosenberg, Manuela und Caterina Valente - aber die Coolste von allen ist und bleibt Trude.
Bei laut.fm/musiktruhe geht es, auch das impliziert schon der Stationsname, deutlich weniger puristisch zu. Hier stecken auch Oldies, Easy Listening, Klassik, Jazz und Orchestermusik drin. Felix aus Berlin, der Mann, der die Musiktruhe bestückt, sorgt allerdings mit einem sauber strukturierten Sendeplan für Übersicht. Wer sich also speziell für eidgenössisches oder österreichisches Liedgut, für Schlager aus Fernost oder den "Zauber der Operette" interessiert, muss eben zur richtigen Zeit einschalten.
Viel Raum gibt laut.fm/musiktruhe der singenden Damenwelt: Von Ava Gardner bis Zarah Leander kommern Sängerinnen zu Wort, die der Sendung "Diva!" das Ausrufezeichen verdient haben. Auch die Programmpunkte "Tolle Frauen ..." oder "Chanteusen und Disseusen" sorgen dafür, dass sich unter den zehn meistgespielten Künstlern in der Musiktruhe gerade einmal ein einziger Mann findet. Udo Jürgens ist aber auch ein echt würdiger Hahn im Korb. Unter dem Banner "Ist das nicht...? Das ist doch...!" gibts "Erkennen Sie die Melodie?" Hier geht es um deutschsprachige Coverversionen.
Wem das Coverraten Spaß gemacht hat, der folge mir zu originalversuscover4u, dort betreiben sie dieses Spielchen nämlich 24/7. Rund um die Uhr dudeln hier eingedeutschte Versionen bekannter Hits und Evergreens. Wenn aus dem "Omen" von Mysterious Art "Das Omlett" wird, oder Ann-Louise Hanson statt "Mr. Sandman" freundlich "Hallo, Nachbar" über den Zaun grüßt: schlicht unfassbar.
DJ Zachi, der hinter dem Jux steckt, hat noch reichlich weitere Amateurradio-Stationen 4U. Die befassen sich dann mit den Hits der 80er, mit Euro- oder Italo-Disco oder kredenzen ausschließlich Maxiversionen. Absurder als bei originalversuscover4u wirds aber nirgends. Wort drauf, Digger.
Warst du nicht fett und rosig? Letzteres auf jeden Fall: Das Schlagerschweinchen operiert stilecht vor scheweinchenrosafarbenem Hintergrund. Viel verrät der Drahtzieher hinter dieser Station nicht über sich. Wäre schon ein seltener Zufall, stammte er (oder sie?) tatsächlich aus einem Ort mit dem saumäßig passenden Namen Wutzhausen. Ist aber auch egal, das Programm spricht für sich, auch wenn die einzelnen Sendungen allesamt den Nullaussagetitel "Oink" tragen.
"Das Schlagerschweinchen spielt Schlager", so die lapidare Selbstauskunft, vor allem aber Alexandra, Udo Jürgens, Juliane Werding, Howard Carpendale, France Gall und Cindy & Bert. Gitte Haenning folgt auf Heinz Ehrhardt, Rex Gildo scheucht "Speedy Gonzales" dem "Student aus Uppsala-la-la" hinterher, ehe Freddy Quinn in "Heimweh" zerfließt. Angefangen bei Adam & Eve darf über Nana Mouskouri bis hin zu Willy Millowitsch mit, wer immer eine Geschichte zu erzählen hat, und zwischendrin ertönt ganz sicher irgendwann "Das Lied Von Manuel". Maria Dolores!
"Weihnacht steht vor der Tür und jeder meint es gut mit dir. " Ja, lacht nicht! Das nächste Christfest kommt bestimmt, und es kommt - wie in jedem Jahr - viel, viel schneller als wir alle denken. Gut, wenn man dann wenigstens musikalisch vorbereitet ist: Glocken erklingen überall, sobald Tom Astor, Ingrid Peters, James Last und Roland Kaiser Besinnlichkeit befehlen.
Bei laut.fm/schlagerweihnacht handelt es sich um den Winterwunderland-Ableger der überaus erfolgreichen Station laut.fm/1000schlager - die allerdings vermutlich auch deswegen so erfolgreich ist, weil dort überwiegend kommerziell lukrativer Mainstreamschlager dudelt. Das muss ja nicht zwingend schlecht sein. Wer sich vor Berg-Fischer-Michelle nicht gruselt, kann da gerne einschalten. Alle anderen folgen dem Duft von Zimt und Bratapfel und gehen direkt durch in die Weihnachtsabteilung. Im Hochsommer kommt das besonders strange. Probiert es aus!
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